Botanik
print

Links und Funktionen
Sprachumschaltung

Navigationspfad


Inhaltsbereich

Forschung

Der emeritierte Lehrstuhlinhaber arbeitet auf dem Gebiet der pflanzlichen Molekular- und Zellbiologie. Forschungsschwerpunkt sind Zellorganellen, speziell der Chloroplast, Sitz des fundamentalen Prozesses der biologischen Photosynthese. In den 1960er Jahren hat er das seinerzeit in Deutschland neue Fachgebiet mitbegründet und von Beginn an national wie international entscheidend mitprägt. Seit Mitte der 1980er Jahre beschäftigte er sich außerdem mit molekularer Gen- und Genomforschung sowie mit gentechnologischen Fragestellungen an Nutzpflanzen, vornehmlich bei Getreiden und der Zuckerrübe. Seine Publikationsliste umfasst ca. 330 Veröffentlichungen, darunter mehrere Übersichtsbeiträge mit verschiedenen Schwerpunkten.

Herrmann konnte zunächst zeigen, dass das plastidäre Genom (das Plastom) hochredundant im Organell vorliegt, in der Regel auf mehrere Regionen, den sog. Nukleoiden, verteilt (z.B. Publ. Nrn. 11, 14, 327). Er wies nach, dass die gesamte genetische Information der Plastide in einem einzigen zirkulären DNA-Molekül verschlüsselt ist (Publ. Nrn. 26, 40), dass Chromoplasten, eine Modifikation des Organells, das gleiche Erbgut enthalten, (z.B. Publ. Nr. 18), und, mittels molekularer Markertechnik an isonukleären Linien mit Plastiden verschiedener Arten, dass das Plastom ein unabhängiges Element der genetischen Konstitution der Pflanze ist (Publ. Nrn. 31, 40). Auf dem Plastidenchromosom wurden dann in der Folge ca. 70 Gene lokalisiert, zunächst die Loci für strukturelle RNAs (4 für rRNA, ca. 20 für tRNA-Species, z.B. Publ. Nrn. 35, 38). Der Schwerpunkt der Arbeiten verlagerte sich danach auf die Analyse von Proteingenen, im Zentrum des Interesses die der supramolekularen Polypeptidkomplexe des photosynthetischen Membransystems (Thylakoidsystem). Dazu entwickelte er Anfang der Achtziger Jahre mit seinen Mitarbeitern die effizienten biochemischen Verfahren, mit denen auch relativ schwach exprimierte Gene gefasst werden konnten (u.a. Publ. Nr. 57). Binnen kurzer Zeit gelang es damit, fallweise mit externer Kooperation, plastidär und nukleär kodierte Gene für ca. 45 Thylakoidproteine, darunter die der Photosystem I- und II-Komplexe, des Cytochrom b6f-Komplexes und der ATP-Synthase (z.B. Publ. Nrn. 61, 72, 84, 86), zu identifizieren und zu charakterisieren.

 model

Die Arbeit an der Photosynthesemembran war konkurrenzlos und bahnbrechend. Sie gilt international als wissenschaftliche Meisterleistung. Neben neuem Detail (wie z.B. eine unerwartete Anzahl niedermolekularer Membranproteine oder eines ersten, aus zwei Polypeptidketten bestehenden Cytochroms im wasserspaltenden Photosystem II u.a.) begründete sie drei Fachrichtungen, die zuvor eingehender Analyse nicht zugänglich waren, Studien zur Biogenese des komplexen Membransystems, zu Struktur-/Funktionsbeziehungen sowie zu phylogenetischen Aspekten:

Die Biogenese und Anpassung des photosynthetischen Membransystems erwiesen sich als überaus komplex. Der duale genetische Ursprung eukaryotischer Photosynthesemembranen erfordert die quantitativ, zeitlich und, vor allem im Vielzeller, auch räumlich koordinierte Expression von plastidären und nukleären Genen. Regulation wurde auf allen Expressionsebenen nachgewiesen. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Primärtranskripte der in Transkriptionseinheiten (Operons) vorkommenden plastidären Gene durch verschiedene, für die korrekte Dekodierung erforderliche Modifikationen zu komplexen RNA-Mustern prozessiert werden (z.B. Publ. Nr. 96), dass die durch Licht divers regulierten Promotoren nukleär kodierter Thylakoidproteine (z.B. Publ. Nrn. 191, 231), die ausnahmslos als Vorstufen mit sog. Transitpeptiden für den Import in das Organell dekodiert werden, mit individuellen intrazellulären Translokationen der ursprünglich plastidär kodierten Gene aus dem Organell in den Zellkern erklärbar sind, oder dass zusammengesetzte, ähnliche Transitpeptide der Vorstufen nukleär kodierter Thylakoidproteine wenigstens drei unterschiedliche Routen für deren Import oder Assemblierung im Organell benutzen (z.B. Publ. Nrn. 227, 264). Das Thylakoidsystem gehört heute zu den am besten untersuchten komplexen biologischen Strukturen. Es dient als Grundlage für Studien zur Verknüpfung von Expressionsebenen zu Netzwerken, und wie diese wiederum in die jeweiligen artspezifischen Entwicklungsprogramme eingebunden sind.

40. Herrmann R.G. and Possingham J.V.: Plastid DNA - the plastome. In "Results and Problems in Cell Differentiation", Vol. 10 "Chloroplasts", (ed. J. Reinert), pp. 45-96, Springer, Berlin, Heidelberg, New York (1980)

142. Herrmann R.G., Westhoff P. and Link G.: Biogenesis of plastids in higher plants. In: "Plant Gene Research" Vol. 6 "Cell Organelles" (ed. R.G. Herrmann), Springer, Wien New York, pp. 275-349 (1992)

220. Herrmann R.G.: Photosynthesis research - aspects and perspectives. In: “Frontiers in Molecular Biology; Molecular Genetics in Photosynthesis” (eds. B. Andersson, A.H. Salter. and J. Barber), Oxford University Press, pp. 1-44 (1996)

Struktur-/Funktionsbeziehungen: Unter anderem konnte für die unerwartet hohe Zahl niedermolekularer Thylakoidpolypeptide, die vor allem in den Photosystem II- und Cytochrom-Komplexen entdeckt wurden, mittels Transformation der plastidären bzw. nukleären Loci nachgewiesen werden, daß sie vielschichtige und wichtige Rollen im Photosyntheseprozeß erfüllen (z.B. Publ. Nrn. 303, 308, 316, 318, 319, 325, 331)

Evolution, Artbildung: Die Möglichkeit, Artbildungsprozesse erstmals kausal molekular studieren zu können, ergab sich durch die Verknüpfung des Wissens über Photosynthesemembranen mit der einzigartigen Genetik der Nachtkerzen (Oenothera). Ein interspezifischer Austausch von Plastiden und Zellkernen, der dort relativ einfach möglich ist, kann zu Entwicklungsstörungen einer Pflanze führen, häufig des Photosyntheseapparates (Bastardbleichheit), Indizien für ein integriertes genetisches System der Zelle und die Koevolution der zellulären genetischen Kompartimente. Das plastidäre Genom kann aufgrund seines begrenzten, gut definierten Kodierungspotentials dabei als Sonde genutzt werden. Wie schon Studien der Reziprokenunterschiede von Genom/Plastom-Artbastarden beim artifiziellen Modell Nachtschatten (Atropa)/Tabak nahegelegt hatten (Publ. Nr. 312), beruht Artbildung im Prinzip wohl primär auf einer Veränderung regulatorischer Prozesse – im Einklang mit der phylogenetisch konservierten Struktur und Biogenese der photosynthetischen Grundkomplexe (z.B. Publ. Nr. 329).

245. Herrmann R.G.: Eukaryotism, towards a new interpretation. In: “Eukaryotism and Symbiosis” (eds. H.E.A. Schenk, R.G. Herrmann, K.W. Jeon, N.E. Müller, W. Schwemmler), Springer, Heidelberg, New York, pp. 73-118 (1997)


329. Greiner S., Rauwolf U., Meurer J. and Herrmann R.G.: The role of the plastome in speciation. Molec. Ecol. 20, 671-691 (2011) [invited review article]

Im Rahmen des zweiten Forschungsschwerpunkts, des Genomprojekts, wurden in Zusammenarbeit mit Kollegen der Züchtungsforschung und der Saatzuchtindustrie u.a. erste, in der Züchtung anwendbare molekulare Markerkarten für die Gerste und die Zuckerrübe konstruiert (z.B. Publ. Nr. 130, 137), beim Mais erste molekulare Analysen komplexer polygener Merkmale (sog. QTL-Analysen) im Rahmen eines internationalen europäischen Programms durchgeführt (z.B. Publ. Nr. 190), und Megabasen- sowie mikrochirurgische Techniken an Translokationslinien zur Isolation von Resistenzgenen entwickelt (z.B. Publ. Nrn. 183, 192). Erste Einblicke auch in sonst nur schwer zugängliche ultrastrukturelle Aspekte kondensierter Chromosomen gewährte der Einsatz neuer hochauflösender Scanning-Elektronenmikroskopie durch Prof. Wanner (Publ. Nrn. 122, 295, 296).

 


Servicebereich